Sylter Sagen und Märchen

Vieles lässt sich in den jahrhundertealten Sylter Sagen und Legenden wiederfinden, die sich um die Insel ranken. Sie handeln von bekannten Sagenfiguren wie Pidder Lüng und Ekke Nekkepenn. Folgende Geschichten erzählten sich die Sylter damals...

Pidder Lüng

 

Eine der bekanntesten Sagen von Sylt ist die Geschichte von Pidder Lüng, dem Freiheitskämpfer, der für den Spruch „Lewwer duad üs Slaaw!“ („Lieber tot als Sklave!“) bekannt ist. Laut der 200 Jahre alten Geschichte von Christian Peter Hansen, die er zur Zeit der dänischen Herrschaft über Sylt schrieb, saß Pidder Lüng beim Abendessen mit seinen Eltern in Hörnum, als der dänische Amtsmann Henning Pogwisch eintrat, um die Steuern einzutreiben. Als Pidder Lüng sich weigerte, beleidigte Pogwisch ihn und seine Eltern und spuckte am Ende sogar in den dampfenden Grünkohltopf. Aus Wut steckte Pidder Lüng den Steuereintreiber mit den Worten „Wer in den Kohl spuckt, der soll ihn auch fressen!“ kopfüber in den Topf, bis dieser nicht mehr zappelte. Dafür musste Pidder Lüng mit dem Boot seines Vaters von der Insel Sylt flüchten und segelte jahrelang ruhelos übers Meer, bis er sich wieder nach Hörnum traute. Dort stellte er eine Flotte zusammen, mit der er fortan als räuberischer Seemann zusammen mit Gleichgesinnten die Meere unsicher machte. Nur gelegentlich kehrte er nach Sylt zurück. Durch seine erfolgreichen Plündereien wurde Pidder Lüng jedoch übermütig und ließ sich eines Tages in Westerland in die Falle locken. Vor Gericht wurde er mit sechs seiner Genossen zum Tode verurteilt und bei Munkmarsch gehängt. So wurde der Wahlspruch von Pidder Lüng – „Lewwer duad üs Slaaw!“ – am Ende Wirklichkeit.

Der Meermann Ekke Nekkepenn

 

Die Sagengestalt Ekke Nekkepenn ist so etwas wie das nordfriesische Rumpelstilzchen und taucht in mehreren Legenden in unterschiedlicher Gestalt auf. Mal wird Ekke als Zwerg, mal als Meermann oder – wie bei Theodor Storm – als funkenschlagender Kobold beschrieben. Aber auch diese Gestalt ist am engsten mit Christian Peter Hansen verbunden. In seiner Version von 1858 geriet ein Schiff auf dem Weg nach England in einen schlimmen Sturm. Plötzlich steckte ein großer Mann seinen Kopf aus dem Meer und fragte nach dem Kapitän aus Rantum. Diesem erklärte er, dass seine Frau Rahn auf dem Meeresgrund ein Kind erwarte und verlange, dass die Frau des Kapitäns ihr bei der Geburt helfe. Die Kapitänsfrau war einverstanden, sprang über Bord und verschwand mit dem Meermann in den Fluten. Sofort legte sich der Sturm und schon bald begann das Meer wie eine Wiege zu schaukeln. Die Frau kehrte zurück und brachte eine ganze Schürze voll Gold und Silber mit, das Ekke Nekkepenn ihr geschenkt hatte. Bei gutem Wind segelte das Schiff davon.

 

Noch viele Jahre später erinnerte sich der Meermann an die schöne Kapitänsfrau, und da seine Frau Rahn inzwischen alt geworden war, beschloss er, das Schiff des Kapitäns zu versenken und die Witwe zu heiraten. Eines Tages sagte er seiner Frau, er werde Heringe fischen, denn er wusste, dass sie dann Salz mahlen und einen Wirbelsturm verursachen würde.

 

Nachdem der Kapitän darin untergegangen war, ging Ekke Nekkepenn auf Sylt in Gestalt eines Seemanns an Land traf am Strand von Hörnum auf die Tochter der Kapitänsfrau. Er hielt sie für ihre Mutter – ohne daran zu denken, dass auch diese Frau inzwischen gealtert war -, steckte ihr Goldringe an die Finger, legte ihr eine goldene Kette um und sagte zu ihr: „Nun habe ich dich gebunden, nun bist du meine Braut.“ Sie weinte und bat ihn, sie freizugeben, und er erlaubte es ihr unter der Bedingung, dass sie innerhalb eines Tages seinen Namen herausfinde.

 

Sie fragte überall auf Sylt nach dem Namen des Seemanns, doch niemand kannte ihn. Als sie am folgenden Abend wieder am Strand entlangging, hörte sie plötzlich Gesang:

 

„Heute soll ich brauen,

Morgen soll ich backen,

Übermorgen will ich Hochzeit machen.

Ich heiße Ekke Nekkepenn,

Meine Braut ist Inge von Rantum,

Und das weiß niemand als ich allein.“

 

Als sie das hörte, lief sie schnell zu ihrem Treffpunkt, erwartete ihn dort und rief ihm zu: „Du heißt Ekke Nekkepenn und ich bleib Inge zu Rantum!“ Dann lief sie mit dem Goldschmuck nach Hause. Seitdem war Ekke Nekkepenn böse auf die Sylter und überfiel sie auf See mit Stürmen, während seine Frau Rahn die Seeleute mit Netzen fangen und ständig Salz mahlen musste. Man sieht noch heute die Flutschäden in Hörnum und das Meer ist davon ganz salzig geworden.

 

Die Sage von der Glocke in Keitum

 

Eine weitere Sage aus Sylts Geschichte rankt sich um den Kirchturm von St. Severin in Keitum. An seiner Westseite sind zwei Teile eines Findlings aus Granitstein eingemauert. Sie werden „Ing und Dung“ genannt, im Andenken an die beiden Stifterinnen des Kirchturms, die als Nonnen nahe Keitum lebten. Wenn man dem Klang der Kirchturmglocke lauscht, hört man ebenfalls die Namen Ing und Dung. Die dazugehörige Sage wurde von Karl Müllenhoff aus Dithmarschen aufgeschrieben, der vor 150 Jahren einen Sammelband mit norddeutschen Geschichten veröffentlichte. Sogar die Gebrüder Grimm übernahmen ein Märchen aus seinem Buch!

 

Die Legende besagt, dass die Kirchenglocke in Keitum einen so hellen Ton besaß, dass sie bei gutem Wetter noch in Hoyer auf dem Festland zu hören war. Aus Neid versuchten dessen Einwohner, die Glocke zu stehlen, scheiterten jedoch. Der Kirchenvorstand auf Sylt wickelte daraufhin einen Faden um den Glockenklöppel, sodass die Glocke klang, als sei sie gesprungen – und die Hoyringer ließen sich täuschen und versuchten keinen weiteren Diebstahl. Zu dieser Kirchenglocke gab es auch eine Prophezeiung, die besagte, dass sie eines Tages hinabstürzen und den schönsten Jüngling Sylts erschlagen werde. Später werde der gesamte Glockenturm einfallen und das schönste Mädchen Sylts unter sich begraben. Tatsächlich brach am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1739 eine Glocke aus ihrer Halterung und erschlug einen jungen Seemann. Der Kirchturm steht noch immer, aber seither trauen sich die Sylter Mädchen nur ungern in die Nähe des Kirchturms und in den Gottesdienst.